Fremde spielen. Amateurtheater als Medium informeller und non-formaler transkultureller Bildung

Die Idee

Das Forschungsprojekt, welches von 2016 bis 2019 am CCT verortet war, versteht Amateurtheater als kulturelle Praxis und somit als einen hervorragenden Ort breitenkultureller Bildung. In einer Zeit, in der die Angst vor Fremden und Fremdenhass das gesellschaftliche Zusammenleben ernsthaft gefährden, untersucht das Forschungsprojekt „Fremde spielen“ Amateurtheater als eine Ressource transkultureller Bildungsarbeit. Im Fokus steht das Potential des Amateurtheaters, durch (Theater)Spiel einen reflektierten Umgang mit dem Eigenen und einen offenen Umgang mit dem Fremden zu ermöglichen. Die Methode, die das Projekt anwendet ist die einer konsequenten Historisierung des gegenwärtigen Selbstverständnisses von Amateurtheater. Im Zusammenspiel der historischen Schichten eröffnen sich Einsichten und Möglichkeiten transkultureller Bildungsarbeit im Medium des Amateurtheaters.

Der Weg

Das Projekt untersuchte anhand von unterschiedlichen Materialien, wie bspw. Verbandszeitschriften, der Zeitschrift des Bundes Deutscher Amateurtheater und Zeitzeug*inneninterviews, die Geschichte(n) und die Gegenwärtigkeiten des Amateurtheaters in Deutschland vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute.
Die so gewonnenen Einblicke wurden in epochenbezogenen Strukturskizzen zusammengefasst. So konnten für die Epochen des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des NS-Regimes, der BRD und der DDR historisch spezifische Charakteristika herausgearbeitet werden. Gleichzeitig kristallisierten sich in den epochenbezogenen Strukturskizzen Merkmale des Amateurtheaters heraus, die wiederholt in Erscheinung treten und als epochenübergreifende Suchbewegungen, Verortungsanstrengungen und temporäre Lösungsansätze des Amateurtheaters aufzufinden sind. Diese wurden unter den Leitbegriffen sozialer Ort, Anerkennung, Selbstverständnis, Macht/Ermächtigung und (Theater-)Spiel in einer „Geschichtsschreibung der Präsenz“ dargestellt.

Das Fazit

In den untersuchten Epochen scheint das Amateurtheater immer wieder auf der Suche nach seinem Ort in der Gesellschaft, nach Anerkennung durch die Gesellschaft und nach seinem Selbstverständnis zu sein. Diese Suche wird vornehmlich durch das unreflektierte Gefühl eines ‚Mangels’ angetrieben, kein ‚richtiges’ (professionelles) Theater zu sein, der sich durch ständige Neuverortungen, Selbstentwürfe und überhöhende Legitimationsanstrengungen auszudrücken vermag. (Un)eingestanden geht das Amateurtheater scheinbar von ‚imperfekten‘, nicht souveränen Darstellerinnen und Darstellern ihrer selbst aus. Es zielt dabei (un)gewollt auf prinzipiell unterdrückte Subjekte, die von der Macht gesellschaftlicher Institutionen gezeichnet sind. In der bewussten und positiven Annahme des ‚Mangels’, wie er sich historisch punktuell artikuliert, liegt die Chance zur Selbstermächtigung der Unterdrückten durch (Theater)Spiel.

...und jetzt?

Die Praxis des Amateurtheaters als ‚imperfekte‘ Darstellung birgt ein transkulturelles Potential im Bewusstsein über die Wirkung historischer Prozesse in der Gegenwart. Im Amateurtheater können Modelle entwickelt werden, in denen die Gegensätze und Abgrenzungen von „wir“ und „die anderen“ überwunden werden. Das ‚nicht perfekte‘, ‚nicht professionelle‘ (Theater)Spiel der Amateure unterläuft Konzepte und Vorstellungen von einer repräsentativen, weil gebildeten, Kulturdominanz des national(istisch) Eigenen und kann somit den gegenwärtigen Herausforderungen im Umgang mit Fremdenhass und rassistischen Aus- und Abgrenzungen eigensinnig begegnen. Historisch betrachtet hat Amateurtheater den Mangel der ‚imperfekten‘ Darstellung immer wieder bewusst angenommen. Anders ausgedrückt hat es im (Theater)Spiel das Fremde als das Nicht-Perfekte, Un-Professionelle als wesentlichen Teil des eigenen Tuns anerkannt und damit die Abgrenzung und Klassifizierung als „minderwertige Kultur“ überwunden. Damit bietet sich im Amateurtheater ein Spielraum, vermeintliche kulturelle (Selbst-) Gewissheiten zu differenzieren und immer wieder in Frage zu stellen und einen offenen Umgang mit dem Fremden zu praktizieren. Voraussetzung dafür ist eine umfassende gesellschaftliche Anerkennung und Förderung des Bildungsraumes „Amateurtheater“ einerseits und die bewusste Übernahme der gesellschaftlichen Verantwortung, die den Amateur-theaterschaffenden durch diesen Status erwächst.

  • Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
  • In Zusammenarbeit mit dem Bund Deutscher Amateurtheater.